Geld und Tabus: Wie das Schweigen über Finanzen Kinder beeinflusst

Was ist ein Tabu?

Die unsichtbaren Regeln, die unser Verhalten prägen

Häufig ist in unserer Gesellschaft von Tabus und Tabubrüchen die Rede. Wie oft sagt jemand zu uns: „Das ist für mich tabu“, und meint, etwas nicht haben, angucken oder anfassen zu wollen. Doch wissen wir genau, was das ist, so ein Tabu ? Nur weil es in aller Munde ist, sind die Besonderheiten dieses Phänomens nicht unbedingt allgemein bekannt.

Die unsichtbaren Regeln, die unser Verhalten prägen

Ein entscheidendes Kennzeichen eines Tabus ist, dass über die betreffende Sache nicht viel gesprochen wird. Oftmals ist das ein tradiertes Verhalten. Niemand vermag noch zu sagen, welche – vielleicht sogar rationalen – Gründe dazu geführt haben, dass etwas zu einem Tabu wurde.

 

Das Tabu hat sich über lange Zeit verselbständigt und die Menschen haben die damit verbundenen Verhaltensregeln verinnerlicht. Bemerkenswert ist, dass ein Tabu trotz der fehlenden Erklärungen funktioniert, sogar bei denjenigen, die seinen Sinn nicht erkennen oder sich darüber ärgern. Im Gegensatz zu einem Verbot funktioniert ein Tabu nämlich intuitiv: Man denkt nicht darüber nach, sondern handelt ganz automatisch nach den Prämissen des Tabus. Über Verbote wird hingegen gesprochen, diskutiert und gestritten. Deswegen sind sie verhandelbar, Tabus nicht. 

Tabus und ihre emotionale Aufladung

Ein weiteres Kennzeichen eines Tabus ist, dass es sich überwiegend um etwas negativ Definiertes handelt, „etwas soll nicht gesagt, gemacht oder gedacht werden“. Da das jedoch nicht immer leicht zu akzeptieren ist, spiegeln sich in Tabus viele Gefühle wider, meist sehr starke. Die Aufladung mit Gefühlen ist eine weitere Besonderheit eines Tabus. 

 

Mit dem Tabu wird auch automatisch „gutes“ und „schlechtes“ Benehmen definiert. Ein Tabu hat also auch die gesellschaftliche Funktion, Menschen in ihrem Handeln Orientierung zu geben. Es erleichtert Entscheidungen und das Zusammenleben, wenn nicht jede Handlung neu geklärt oder überlegt werden muss. Das Tabu schafft somit für den Einzelnen Entlastung: Jeder weiß, wie er sich verhalten soll, was er sagen darf und was er besser bleiben lässt. Die erlebte Sicherheit freilich ist trügerisch, denn das Tabuisierte verschwindet ja nicht, es wird nur versteckt und kann seine Kräfte in aller Ruhe voll entfalten. Und halten wir uns auch an die Regeln oder nicht? Verhalten wir uns anständig? Und wenn nicht, schämen wir uns dafür, weil wir wissen, dass wir gegen die gesellschaftliche Norm verstoßen haben? 



Pappschild mit „TABU“ auf Gehweg – Symbol für das Schweigen über Geld in der finanziellen Bildung von Kindern, in Familien und in der Öffentlichkeit.
Wann sprechen wir über Geld?

Die Vererbung von Tabus an die nächste Generation

Spannend ist zudem, wie ein Tabu in die nächste Generation getragen wird. Wie verhalten sich Eltern, wenn ihre Kinder das Tabu übertreten – sei es durch ihr Handeln oder mit Worten? 

Geld – ein gesellschaftliches Tabu?

Beim Thema Geld, wie auch bei der Sexualität, ist es übrigens nicht die Sache selbst, die einem Tabu unterliegt. Schließlich gehören diese Bereiche zum menschlichen Dasein. Eltern schreien nicht hysterisch: „Stopp!“, wenn ihr Kind Geld in die Hand nimmt und damit spielt. Es ist das Sprechen darüber, auf das sich das Tabu bezieht, vor allem die Art und Weise, wie über Geld gesprochen werden darf. Denn in unserer Gesellschaft reden Menschen sehr wohl über Geld. Wir diskutieren in der Öffentlichkeit über Griechenland, den Bau des Berliner Flughafens, Verbrauchertipps, Kredite und Zinsen. Oft wird sogar beklagt, dass zu viel über das „liebe Geld“ geredet wird. Dabei geht es ums Kaufen, Konsumieren, Anlegen oder Sparen. Geld scheint in unserer Gesellschaft omnipräsent. Gibt es vielleicht gar kein Tabu  mehr? Haben wir das „Rede-Verbot“ vergangener Tage überwunden?


Warum über private Finanzen nicht gesprochen wird

Nein. Was in Deutschland gesellschaftlich wenig bis gar nicht akzeptiert wird, ist das Sprechen über private Finanzen. [] Ich habe den Eindruck, dass die persönlichen Finanzen heute sogar ein größeres Geheimnis darstellen als Fragen nach unserer Sexualität. Auf einer Party fragen wir in einer netten, unverbindlichen Unterhaltung unseren Gesprächspartner nicht nach der Höhe seines Gehaltes. Wie viel verdienen Sie eigentlich? Diese Frage kann heftige Reaktionen auslösen: Das geht niemanden etwas an! Das darf man doch einen anderen nicht einfach so fragen! Das ist tabu! Wie können Sie nur? Beim Thema Einkommen beschreibt man eher nebulös, dass es einem finanziell „ganz gut“ geht, das Gehalt „angemessen“ ist oder „es reicht“. Statt finanzieller Probleme ist es „gerade etwas eng“. Niemand käme auf die Idee, diese Umschreibungen auflösen zu wollen: Was meinen Sie konkret? Wie eng ist es denn? Nicht einmal bei Freunden oder Verwandten würde man nachfragen. Ganz offensichtlich würde das als Grenzüberschreitung wahrgenommen. Und wer gesellschaftliche und private Grenzen übertritt, wird zurechtgewiesen. Insofern ist unser Aktionsradius, dieses Thema betreffend, eingeschränkt. 

 

Gleichzeitig werden wir vor den Fragen anderer geschützt, die uns unangenehm sein können, uns unsere eigenen unguten Gefühle oder unser tatsächliches Finanzgebaren vor Augen führen. Habe ich viel, habe ich wenig? Was verdienen andere, was sagt mein Gehalt über mich und meine Leistungsfähigkeit aus? Was bin ich wert, wenn ich wenig verdiene? Habe ich versagt? Und wenn ich viel verdiene: Sind andere neidisch auf mein Geld und das, was ich erreicht habe? Insbesondere die Verknüpfung vom Wert eines Menschen mit Geld lässt uns diesbezüglich lieber schweigen.


Die unsichtbaren Grenzen in Gesprächen über Geld

So tabuisiert wie die Frage nach der Höhe des Einkommens ist fast jede Frage zum Thema Geld. Ob jemand vorteilhaft versichert ist, klärt er lieber in einem anonymen Vergleichsportal als im Gespräch mit Freunden. Ebenso wird kaum darüber gesprochen, ob jemand einen Überblick über seine wöchentlichen Ausgaben hat, wie viel Rationalität beim Kauf eines Möbelstücks, eines Autos oder eines „guten“ Lebensmittels im Spiel ist, ob die bequemste und schnellste Reiseverbindung wirklich sein muss, auch wenn sie ein Vielfaches kostet etc. Selbst ein kostspieliges Hobby wird nicht hinterfragt. „Das gönn’ ich mir halt.“ 

Was wir aus anderen Kulturen über den Umgang mit Geld lernen können

In anderen Ländern, beispielsweise in den USA, ist ein Small Talk über die Geschäfte und Finanzen eine Selbstverständlichkeit. Wir dagegen haben uns an die Tabus gewöhnt. Meist fällt es nicht schwer, sich daran zu halten. Wir haben die Taburegeln vor langer Zeit verinnerlicht und stellen sie nicht in Frage. Kinder haben bereits ein starkes Gespür für Tabus. Sie merken, dass es etwas gibt, worüber nicht offen gesprochen wird – warum auch immer. Vielleicht gab es irgendwann die eindeutige Zurechtweisung durch die Eltern, nachdem das Kind gefragt hatte: „Oma, wie viel Geld hast du eigentlich und werde ich es erben?“, „Papa, was kostet das Haus, das wir gekauft haben?“, oder: „Mama, haben wir Schulden oder sind wir reich?“

 

Kinder machen sich ihre eigenen Gedanken. Schweigen die Eltern zum Thema Geld oder halten viel von ihren Kindern fern, dann ist Geld für Kinder ganz automatisch negativ besetzt. Aber nur mit Kompetenzen, die sie früh und offen im Elternhaus erlernen, ermöglichen wir ihnen einen sicheren Start ins Leben. 


Buchcover von „Dann geh doch zur Bank und hol dir welches“ von Kirstin Wulf – Ein Buch über finanzielle Bildung, den Umgang mit Geld in Familien und die Aufklärung von Kindern über Finanzen.
Das Cover des Buches hat eine gute Schulfreundin aus Freiburg entworfen: Nina von Herrath!

 

Der vollständige Text ist in meinem Buch erhältlich, das umfassende Einblicke und praktische Tipps für Geldgespräche in der Familie bietet. Finanzielle Bildung ist wichtiger denn je – besonders im Elternhaus!

 

Das Buch ist derzeit nicht im regulären Buchhandel verfügbar. Interessierte können es exklusiv direkt bei bricklebrit bestellen.  

 

 

Kirstin Wulf: Dann geh doch zur Bank und hol dir welches. Rätselraten ums Geld im Elternhaus. Cividale Verlag 2016, S. 91 ff.


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