Der erste Zugang zu einem verborgenen Teil von mir
In diesen ersten Wochen hörte ich mich sagen: Ich bin nicht jemand, der etwas liest und sich dann sofort darauf festlegt. Ich bin zwar impulsiv, aber nicht naiv. Mich fängt man nicht so leicht ein. Und dennoch: Mit den Worten von Frau Simchen erhielt ich vom ersten Tag an unerwarteten Zugang zu einem sehr verborgenen Teil meiner selbst. Vor meinem inneren Auge tauchten die drei Kellertüren des Petrosilius Zwackelmann aus der Geschichte vom Räuber Hotzenplotz (Ottfried Preußler) auf, auf denen drei wichtige Hinweise zu lesen sind: 1. Zutritt streng verboten. 2. Zutritt strengstens verboten. 3. Zutritt allerstrengstens verboten.
Die Metapher der Kellertüren
Normalerweise war ich allein in meinen Kellerräumen und hielt sie vor den Blicken anderer verborgen. Doch durch das "Simsalabim" von Frau Simchen öffneten sich diese drei mit einem einzigen Ruck. Und da saß sie, die grüne Unke Kirstin.Oder war es bei mir wie bei einem Malefiz-Spiel? Haben die anderen mir die Steine vor die Nase gesetzt oder habe ich mich selbst mit den weißen Spielsteinen vor den Mitspielern meines Lebens geschützt?
Noch konnte ich diese Frage nicht beantworten. Aber mir wurde klar, wie häufig ich keinen Zugang zu mir hatte. Ob ich nun einer Unke glich oder eher den noch unverbundenen Punkten in einer Malen nach Zahlen-Vorlage; ich machte plötzlich die Erfahrung, je mehr ich über ADHS las und erfuhr, umso deutlicher verbanden sich die Zahlen zu einem ganzen Bild: Kirstin. Und zwar inklusive meiner Kellerräume. Daher war ich zunächst auch die einzige, die an meine selbstgestellte Diagnose glaubte. Viele andere dachten, ich sei nun gänzlich verrückt geworden.
Der Moment, in dem der Groschen fiel: Meine ADHS-Erkenntnis
Der Moment, in dem ich zum ersten Mal selbst – noch vor einer offiziellen Diagnose – auf die Möglichkeit stieß, dass ADHS "im Haus" sein könnte, war ein ganz besonderer. Dieses tiefe Gefühl, dass plötzlich etwas zusammenpasst, dass Verbindungen klar werden, die ich vorher nie gesehen oder verstanden hätte. Für mich war es, als würde ich ein "Malen nach Zahlen"-Bild vervollständigen: Plötzlich ergaben die Punkte, die mein Leben ausmachten, ein erkennbares Bild – ein Bild von mir selbst.
Aha-Momente und neue Verbindungen
So ähnlich erging es mir damals in Berlin, als ich die Stadt zunächst nur unterirdisch mit der U-Bahn erkundete. Es waren nur Stationen, die keine Verbindung zueinander hatten. Erst als ich mit dem Fahrrad die Straßen über der Erde entdeckte, konnte ich den Nollendorfplatz mit dem Wittenbergplatz direkt in Zusammenhang bringen. Vorher waren es einfach zwei völlig getrennte Orte.
Es sind genau diese Aha-Momente im Leben – wenn wir etwas plötzlich neu betrachten und anders sehen. Wenn unser Gehirn neue Verbindungen herstellt, die uns ein tieferes Verständnis geben. Und das fühlt sich gut an. Diese Momente, in denen "der Groschen fällt", sind kostbar. Es kann lange dauern, bis es soweit ist, weil wir nicht genau hingesehen haben oder uns wichtige Informationen gefehlt haben – so wie mir die Erkenntnis über ADHS.
Das tiefe Gefühl, das mit dieser neuen Einsicht einherging, hat mich von Anfang an getragen. Natürlich habe ich es im ersten Moment noch in Frage gestellt, um nicht zu voreilig zu sein. In den ersten 24 Stunden hatte ich schließlich nicht so viel recherchieren können. Aber mein Gefühl täuschte mich nicht – es war echt und tief. In der Zeit danach konnte ich viel mehr über mich selbst und meine Lebensweise verstehen, auch wenn andere meine Wahrnehmung nicht teilten. Sie kannten entweder nur bestimmte Aspekte von ADHS oder wussten zu wenig über mein Leben, weil ich nie darüber gesprochen hatte oder sie nie gefragt hatten. Egal wie, seit diesem Moment ist meine Welt eine andere. Ich bin dankbar, dass ich zwar schon ein halbes Jahrhundert gelebt habe, aber den Rest nun mit neuen Augen und neuen Möglichkeiten angehen kann. Es ist eines der besten Dinge, die mir je passiert sind. Jedenfalls fast.